Fliegende Motorhaube und fahrende Couch

Torsten Kratz ist mit Oliver Frisse und Moran Gott derzeit Zweiter der VLN-Gesamtwertung. Nach dem Sieg in Lauf eins in der Klasse V4 mit dem BMW 325i des Teams Sorg Rennsport und der wetterbedingten Absage von VLN2 liegt das Trio in der am besten besetzten Klasse der Langstreckenmeisterschaft Nürburgring aussichtsreich im Rennen um die Meisterschaft. Der 48-Jährige ist seit 2001 auf der legendären Nordschleife als Pilot unterwegs. Da gibt es viel zu erzählen über Pleiten, Pech, Glücksgefühle und Gewinne.

Fangen wir mit dem aktuellen Tagesgeschehen an. Wie war der Saisonstart in der VLN aus deiner Sicht?

Der Start bei VLN1 war super. Auf dem BMW M4 GT4 fahre ich mit Stefan Beyer und Emin Akata mit zwei erfahrenen Gentleman-Drivern in der SP10, die sich stetig verbessern, die aber noch nicht ganz das Tempo der Spitze mitgehen können. Im Qualifying kamen wir nach einem Problem mit dem Antriebsstrang erst kurz vor der roten Ampel aus der Boxengasse. Wir standen relativ weit hinten, kamen aber schnell auf Rang drei und den haben wir halten können. Zum letzten Stint bin ich dann in den V4 gestiegen. Ich musste 20 Sekunden gut machen auf die Totz-Cousins und den Christian Andreas Franz, das ist mir gelungen. In den letzten beiden Runden bin ich dann an Kevin Totz vorbei gekommen. Nachdem sie einen Motorschaden hatten, hatte ich eine relaxte letzte Runde. So haben wir den Sieg eingefahren.

Bei VLN1 waren die meisten Autos, nämlich 19, in der V4 am Start. 2018 kamen die Meister Christopher Rink, Danny Brink und Christopher Leisen von Adrenalin Motorsport auch aus dieser Klasse. Die Chancen auf den Titel stehen also gut. Wie siehst Du die Erfolgsaussichten?

Klar rechnen wir uns da was aus. Wir haben einen guten Grundstein gelegt. Der Abbruch von VLN2 kam uns im Prinzip auch nicht ungelegen. Das Adrenalin-Auto und die Totzs sind bei VLN1 ausgefallen. Beide haben somit ihre beiden Streichresultate weg. Die stehen jetzt schon mit dem Rücken zur Wand. Wir haben noch einen Schuss frei. Den wollen wir nicht nutzen, aber man weiß ja, wie es ist. Zu viel rechnen, macht noch keinen Sinn. Nicht nur auf der Strecke, sondern auch daneben darf nichts passieren, bei den Boxenstopps et cetera. Es muss noch sieben Mal perfekt laufen.

Was kannst Du uns über deine beiden Teamkollegen sagen?

Den Moran Gott kannte ich vorher gar nicht. Oliver Frisse ist letztes Jahr noch auf einem anderen Auto von Sorg gefahren. Er kennt zumindest das Team, aber wir müssen uns noch als Fahrerpaarung zusammen finden. Das sind alles verschiedene Charaktere. Und wie wir alle wissen, als Rennfahrer ist man nicht immer der einfachste Mensch. Moran ist extrem motiviert und erfolgshungrig. Der würde sein letztes Hemd geben, um etwas zu reißen. Oliver ist sehr mutig beim Start. Er kann da aggressiv zur Sache gehen. Dieses Jahr soll er das Risiko minimieren. Wir wollen ja ankommen. Das setzt er super um. Ich sehe uns als stabiles Paket. Moran ist der Emotionale, wir die Pragmatischen. Er holt uns aus der Reserve, wir holen ihn aber wieder zurück.

Du bist der klassische Doppelstarter. In der Regel sitzt Du bei einem VLN-Lauf immer in zwei Autos. Wie bewältigst Du so ein straffes Programm an einem Renntag?

Fitness ist immer ein wichtiges Thema im Rennsport. Je älter man wird, umso wichtiger wird es. Vor 20 Jahren war das bei mir noch nicht so. Aber auch die mentale Vorbereitung und Stärke ist wichtig. Stress und Druck können auch viel Energie kosten. Hinzu kommt, dass du zwei völlig verschiedene Autos fährst. Mit dem M4 ist das eine ganz andere Nummer als mit dem V4. Ich habe aber in meinem Leben schon so, so viele verschiedene Autos gefahren. Da hilft die Erfahrung, wenn ich wechsele von einem Auto in das andere, muss ich da nicht drüber nachdenken. Das ist automatisch alles da. Beim M4 bremse ich mit links, da ist nix mit Kupplung, da habe ich ein bisschen Aerodynamik, die mir in den schnellen Ecken hilft. Das Auto fühlt sich ganz anders an, als ein V4. Der ist salopp gesagt, wie eine Couch. Da bewegt sich viel. Die Leistung ist gering. Da habe ich eine manuelle Schaltung. Der Rhythmus ist anders.

Du hast 2018 beim 24h-Rennen am Nürburgring ein Kunststück geschafft, du hast die V4- und die Cup5-Klasse gewonnen…

Da gehört viel Glück dazu. In der V4 war der Wettbewerb ehrlich gesagt nicht ganz so hoch. Wir waren als Fahrerpaarung mit Kevin Totz, Cedric Totz und Oliver Frisse überlegen. Trotzdem musst du so ein Rennen erstmal durchstehen. Das haben wir gut gemacht. In der Cup5 war es deutlich spannender. Yannick Mettler, Tristan Viidas und Heiko Eichenberg haben einen super Job gemacht. Ich bin zwei, drei Stints gefahren. Allerdings haben sie mich da ins Auto gesetzt, als es heftig am Regnen war. Da durfte ich mal. Die Bedingungen mag ich aber auch. Am Ende war es ein toller Erfolg. Das ist noch nicht oft vorgekommen. Das gab es erst zwölf Mal in der Geschichte dieses Langstreckenklassikers.

Du fährst jetzt bei AVIA Sorg Rennsport. Wie bist Du dort gelandet?

Daniel Sorg und ich wissen gar nicht mehr genau, wie der Kontakt eigentlich zustande kam. Er hat mich angerufen, da war ich gerade als Instrukteur für Porsche in Finnland bei den Wintertrainings vor Ort. Wir haben ein gutes Paket gefunden, bei dem wir uns gegenseitig helfen. Ich stehe für Coaching zur Verfügung und bei Setup-Arbeiten. Ich bin kein lauter Typ und das ist ein sehr bodenständiges Team. Das hat mich gereizt. Ich stelle mich nicht da hin, und sage, wie toll ich bin. So bin ich nicht gestrickt und so sind die Sorgs auch nicht. Das ist familiär und sympathisch.

Du bist seit 2001 auf der Nordschleife unterwegs. Wie waren deine Anfänge in der Grünen Hölle?

Ich habe damals mit einem Kumpel eineinhalb Jahre lang einen 1er Golf aufgebaut. Als das Ding endlich fertig war, sind wir mit dem Gruppe H-Auto RCN gefahren. Im vierten Rennen habe ich das Auto in der Spiegelkurve vor Dreifach-Rechts nach Kallenhard so was von in die Mauer gehauen. Die Reifen waren noch nicht auf Temperatur, das war ein naiver Fehler. Der Golf war Kernschrott. Damit war die Geschichte beendet.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe mir überlegt, was ist das nächstgünstigste, was man machen kann. Das war ein BMW 318is E30. Denn habe ich so einfach wie möglich aufgebaut, als Gruppe G-Auto. In der RCN habe ich es genauso gehalten wie beim Kart fahren. Da war die Kohle auch nie da. Ich habe Reifen benutzt, die andere weggeschmissen haben. Da hat einer gebrauchte Slick-Reifen aus der DTC verkauft, kein Mensch wusste, was vorher damit passiert war. Das würde ich heute im Leben nicht mehr machen. Im ersten Jahr habe ich zwei Klassensiege geholt, das war für mich der Startschuss.

Was hattest du denn für Ziele als junger Motorsportler?

Mein Vater ist mit mir immer zum Nürburgring gefahren, um Rennen zu schauen. Ich wollte einmal das 24h-Rennen fahren und einmal VLN. Dann wäre ich schon glücklich gewesen. Mehr wollte ich gar nicht. Mit RCN hat es angefangen. Alles war gut bis 2003. Dann hatte ich aber aufgrund einer privaten Situation eine finanzielle Notlage und ich habe die Saison nach dem RCN-Lauf im Rahmen des 24h-Rennens abgebrochen. Dann dachte ich, okay das war es jetzt. Dein Traum wird sich nicht erfüllen. Das Auto stand in der Garage. Mit Motorsport wollte ich nichts mehr zu tun haben. Zugucken tut ja dann nur weh.

Bekanntermaßen ging es aber für Dich dann irgendwie weiter…

Das war kurios. Über einen Freund habe ich beim Indoor-Kartfahren seinen Chef, einen kleinen Logistik-Unternehmer kennengelernt. Ich bin denen damals allen um die Ohren gefahren, das war aber keine Kunst. Er fragte mich, wieviel Kohle ich bräuchte, um wieder Autorennen zu fahren. Ich sagte, das ist für Sie auf jeden Fall zu viel. Er hat mir eine Summe genannt, die wirklich nicht viel war. Ich habe dankend abgelehnt. Zwei Monate später bekam ich das Angebot eines Teams. Ich nannte die Summe, die mir zur Verfügung stand. Und sie sagten überraschenderweise, okay, machen wir. Danach habe ich wieder den potentiellen Sponsor angerufen. Er stand zu seinem Wort. Und es ging tatsächlich weiter für mich. Dann hat mich Axel Nolde vom Team Slow MoverRacing angesprochen, leider ist er viel zu früh von uns gegangen. Der Axel war ein früherer Klassenkamerad meiner Schwester. So bin ich dann 2005 mit diesem Team auf einem Opel Astra mein erstes 24h-Rennen gefahren. Außer 2008 war ich jedes Jahr dabei.

Was war denn dein spektakulärstes Erlebnis auf der Nordschleife?

2010 bin ich mit einem BMW 325i E90 für MK-Motorsport in der V4 beim 24h-Rennen gefahren. Nachts ist mir an der Döttinger Höhe, in dem Linksknick, wo es dann runter geht, die Motorhaube hochgeschlagen. Ein anderer Fahrer hatte vorher einen Schaden am Scheinwerfer. Dann ist Wind drunter gekommen und irgendwann sind die Scharniere gebrochen. In der Haube war ein Kippschalter als Not-Aus. Die Kabel sind natürlich abgerissen. Die Stromversorgung des Autos war sofort weg. Motor aus, Servolenkung war weg, ABS war nicht mehr da, es war kein Licht mehr an. Mich sah keiner, mich hörte man nur noch, weil ich mit dem Auto am Quietschen war ohne Ende da alle Räder standen. Ich konnte auch nicht unter der Motorhaube durch gucken. Das war surreal. Ich hatte eine stehende Wand vor mir, ich war aber noch schnell. Durch das Scheinwerferlicht der anderen Autos konnte ich wieder den Streckenrand sehen. Ohne Einschlag bin ich links auf die Wiese gerutscht. Das war wie im Film. Ich kam zum Halten direkt neben der Leitplanke. Die letzten Zentimeter vor dem Stehen ist der Außenspiegel wie in Zeitlupe von der Leitplanke eingeklappt worden.