Schön zu hören – Lärmschutz am Nürburgring

Um die Betriebsgenehmigung zu erhalten, muss der Nürburgring strenge Lärmschutzauflagen erfüllen. Derzeit gilt für die Rennen auf der Nordschleife ein Lärmgrenzwert von maximal 130 dB(A). Um den nicht zu überschreiten, kooperieren die Automobilhersteller und Teams in vorbildlicher Weise.

Draußen rauschen und donnern und dröhnen die GT-Autos und Tourenwagen über die Start- und Zielgerade, zwischendrin ist das tiefe Grummeln der V8-Motoren herauszuhören.

Die VLN ist in die Saison gestartet, vor einigen Minuten hat das Zeittraining begonnen. Hier drinnen, in der kleinen Race Control im Erdgeschoss des Start- und Zielhauses, sitzt Alexander Knobloch, mit dem Rücken zum Fenster, vor sei-nem Computer und studiert konzentriert Tabellen. In denen stehen immer die gleichen Zahlen: 129, 128, 125, 128, 127, auch 131, 130, 131, 133, 132. Die Zahlen stehen für die Schallpegel der Autos auf der Rennstrecke, die Maßeinheit ist Dezibel (A). Rund um Grand-Prix-Kurs und Nordschleife sind fünf Messstationen für Geräuschemissionen installiert.

Alexander Knobloch ist Diplom-Ingenieur und Spezialist für Technische Akustik, er arbeitet bei der BeSB GmbH, die ihren Sitz in Berlin hat. Die BeSB ist ein unabhängig arbeitendes Ingenieurbüro und eine amtlich benannte Messstelle. Die BeSB ist von der capricorn NÜRBURGRING GmbH (cNG) beauftragt, am Nürburgring Lärmmessungen durchzuführen, das ganze Jahr über. Im Zeittraining (und später im Rennen) liest Knobloch die Schallleistungswerte, die von den Messstationen beim Vorbeifahren der Rennautos ermittelt werden, vom „Noise Trace Server“ ab, er folgt also penibel der Spur des Lärms.

Lärm? Wieso Lärm? Für die Motorsportler, für Aktive und Fans, sind die Geräusche von Motoren und Rennautos, bitte schön, kein Lärm. Das verhält sich so ähnlich, wie es in dem Aphorismus von Kurt Tucholsky heißt: „Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur.“ Aber von Tucholsky stammt auch der schöne Satz: „Lärm ist das Geräusch der anderen.“ Und genau da liegt das Problem, denn es gibt sie, diejenigen, die das so sehen, sie gibt es auch hier am Ring: „Manche Anwohner nehmen das, was auf dem Nürburgring geschieht, nicht mehr so gelassen und selbstverständlich hin wie vor zehn oder 15 Jahren. Es sind nicht viele, die die Rennen auf der Nordschleife als Lärmbelästigung empfinden, aber sie sind da.“ Der das sagt, ist Manfred Strack; er arbeitet seit über 30 Jahren am Nürburgring, heute fungiert er bei der cNG als Abteilungsleiter „Operations“, ist also für das Management sämtlicher Veranstaltungen auf und am Nürburgring operativ verantwortlich.

Es geht um den Nürburgring
Natürlich gibt es Lärm, und er wird als störend und belas-tend wahrgenommen, das hängt immer davon ab, wie der Hörer die Schallquelle bewertet, und trotz akustischer Gewöhnung kann Lärm unbewusst auch gesundheitsschädigend wirken. Deswegen gibt es in Deutschland den Lärmschutz, der das Wohlbefinden der Menschen (und der Tiere übrigens auch) sichern, sie nachhaltig vor körperlichen und seelischen Schäden schützen soll. Die gesetzlichen Regelungen zum Lärmschutz dienen dazu, die Interessen zwischen denjenigen, die Lärm produzieren, und denjenigen, die von Lärm betroffen sind, auszugleichen. Dabei lassen sich die Immissionen, also die schädigenden Einwirkungen von Lärm auf die Umwelt, vorrangig dadurch begrenzen, dass die Emissionen, quasi die Ausstöße von Lärm, begrenzt werden.

Geregelt wird das Ganze durch das so genannte Bundes-immissionsschutzgesetz, das seit 1974 existiert. Eine der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Bundesimmissionsschutzgesetz ist die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, kurz: TA Lärm. Diese Verwaltungsvorschrift dient dem Schutz der Allgemeinheit oder der Nachbarschaft vor den schädlichen Einwirkungen durch Lärm, sie ist auch für die Genehmigungsverfahren in den unterschiedlichen Kategorien von Anlagen (Industrie, Gewerbe, Handel oder Logistik beispielsweise) verbindlich.

„Der Lärmschutz ist eine allgemeine gesetzliche Vorschrift, und auch für Rennstrecken gelten heute grundsätzlich, nicht nur in Deutschland, enge Lärmschutzbestimmungen“, bestätigt Edelbert Schaffert, der Geschäftsführer der BeSB GmbH. Den ersten Auftrag erhielt er bereits 1998 von der damaligen Nürburgring GmbH, seitdem ist sein „Schalltechnisches Büro“ am Nürburgring tätig.

Zunächst konnte am Nürburgring, wie Schaffert einräumt, noch „nachlässig oder großzügig mit dem Thema Lärmschutz umgegangen“ werden, was vor allem mit der „besonderen historischen Prägung und der wirtschaftlichen Bedeutung der Rennstrecke für die Region“ zusammenhängt. Aber die Lärmschutzbestimmungen sind auf nationaler wie auf europäischer Ebene, vor allem auch auf der Grundlage neuer medizinischer Erkenntnisse, immer weiter gestiegen, und die Empfindlichkeiten von Anrainern hat ebenfalls zugenommen. Schließlich haben die deutschen Behörden nachgezogen.

So hat es etwas gedauert, bis die gesetzlichen Vorschriften zum Lärmschutz auch am Nürburgring konsequent umgesetzt wurden: 2001 kam es erstmals für die Grand-Prix-Strecke zu einer Festschreibung der Lärmgrenzwerte, 2009 dann auch für die Nordschleife. Spätestens seitdem ist die amtliche Genehmigung für den Nürburgring an strikte Lärmschutzauflagen gekoppelt – und an die permanente Überprüfung dieser Auflagen.

Das Bundesimmissionsschutzgesetz und die TA Lärm beinhalten enge Vorschriften zum Lärmschutz, und die gelten für alle Anlagen. Diese Vorgaben richten sich danach, wie die Gebiete um die Anlagen herum im Einzelnen genutzt werden. Was den Lärmschutz am Ring zusätzlich erschwert, ist seine topografische Lage und seine Länge. Der Nürburgring misst komplett (Grand-Prix-Kurs plus Nordschleife) 25,980 Kilometer, und er dreht seine Runde über eine Gesamtfläche von rund 40 Quadratkilometern; die Nordschleife führt mitten durch einen Ort, Adenau, und ganz nah an drei Ortschaften – Nürburg, Quiddelbach und Meuspath – vorbei. „Die Schallquelle ist besonders groß“, konstatiert Schaffert. „Und das Einwirkgebiet ist auch besonders groß“, ergänzt Knobloch, „es sind potenziell viele Menschen von Lärm betroffen.“

Es geht um die Rechtssicherheit
Die für den Nürburgring zuständige Umweltschutzbehörde ist das Gewerbeaufsichtsamt in Koblenz. Die betrachtet den Nürburgring übrigens nicht, wie man annehmen könnte, als Sportanlage, sondern behandelt ihn so wie gewerbliche Anlagen. Was daran liegt, dass der Nürburgring als ständige Renn- und Teststrecke zu den so genannten genehmigungsbedürftigen Anlagen zählt, und auch für die ist die Anwendung der TA Lärm vorgeschrieben. „Die Lärmgrenzwerte fallen durch diese Unterscheidung für den Nürburgring nicht vorteilhafter aus“, bemerkt Schaffert und betont: „Der Nürburgring lässt sich aber nicht nach Schema F abhandeln, er ist ein Sondereinzelfall, und er wird von der Genehmigungsbehörde auch so gesehen. Die Behörde legt die einzuhaltenden Lärmimmissionswerte darum auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieser traditionsreichen Rennstrecke fest“.

Mitarbeiter Alexander Knobloch erklärt: „Wir untersuchen an der Rennstrecke genau, welche Immissionswerte bei welchen Emissionswerten erreicht werden können, und wir erarbeiten konkrete Maßnahmen dafür, wie der Lärmschutz am Nürburgring effizient und nachhaltig zu gewährleisten ist.“ Schaffert: „Anschließend überprüfen wir an der Rennstrecke, ob die Lärmgrenzwerte im Rennbetrieb auch strikt eingehalten werden.“

Die ständige Kontrolle der Fahrzeugemissionen durch die amtliche Messstelle BeSB ist die Grundvoraussetzung dafür, dass der Nürburgring die Betriebsgenehmigung nicht verliert. „Dass wir die Schallleistungen der Autos auf der Strecke genau überprüfen und die Rennautos, die die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht einhalten können, ausschließen, ist eine absolute Notwendigkeit“, unterstreicht Manfred Strack von der cNG. „Wir machen das sicherlich nicht, wie manche argwöhnen, um die Teams zu schikanieren, sondern wir machen das, um den Teams die Möglichkeit zu erhalten, auf dem Nürburgring und auf der Nordschleife Rennen zu fahren.“

Für den Betreiber des Nürburgrings geht es am Ende des Tages um Rechtssicherheit, nicht nur in öffentlich-rechtlicher, sondern auch in privatrechtlicher Hinsicht. „Werden die Grenzwerte nachweislich strikt eingehalten, kann der Betrieb weiterlaufen“, präzisiert Schaffert.

Es geht um das Ganze
Die Immissionen lassen sich, wie gesagt, primär dadurch begrenzen, dass die Emissionen begrenzt werden. „Wir erfassen die Emissionen der einzelnen Autos auf der Strecke und überprüfen, ob die Schallleistungen den vorgeschriebenen Grenzwert, 130 dB(A) etwa, nicht überschreiten. Dann können wir gewährleisten, dass in der Nachbarschaft die in der Genehmigung enthaltenen Immissionswerte eingehalten werden“, erläutert Alexander Knobloch.

Das Verfahren der Nahfeld-Messmethode ist für den Anwohnerlärmschutz deshalb total ungeeignet. „Die Schallemission, die direkt hinter dem Auspuff eines Autos gemessen wird, steht in keinem Verhältnis zu der wirklich relevanten Schallemission eines Autos, das unter Volllast auf der Strecke fährt“, argumentiert Knobloch. „Deshalb stehen unsere Mikrophone am Rand der Rennstrecke.“ An den fünf Messstationen ermitteln die Experten der BeSB in der Vorbeifahrt-Messmethode die so genannte Fahrzeugschallleistung. Der Schallleistungswert und die Kontrolle des Schallleistungswertes bilden den Grundansatz, mit dem sich Lärmemissionen beeinflussen lassen können.

Jedes Auto wird demnach schalltechnisch gemessen, und kein Auto darf den vorgeschriebenen Schallgrenzwert überschreiten. Da der Betrieb auf dem Nürburgring aber, im Gegensatz zu einem konventionellen Produktionsbetrieb zum Beispiel, nicht kontinuierlich und gleichmäßig Lärm produziert (es wird ja nicht immer gefahren, und es kommen nicht permanent Autos an einer bestimmten Stelle vorbei), wird der am Nürburgring produzierte Lärm hochgerechnet.

Die Rede ist zunächst von einem Tagesdosiswert, der in einem Zeitfenster von 16 Stunden erhoben wird und laut Genehmigung maximal 76 dB(A) betragen darf. Insgesamt hat die Nordschleife 297 genehmigte Betriebstage pro Jahr; beim 24h-Rennen gibt es für das Fahren in der Nacht (für
die zusätzlichen acht Stunden also) eine Ausnahmegenehmigung.

Entscheidend ist schließlich der Jahresdosiswert, der einzuhalten ist; dies stellt im Kontext des allgemeinen Lärmschutzes eine Besonderheit dar, die dem Nürburgring von der Behörde in Koblenz auf Basis der Sondereinzelfallprüfung zugestanden wird. Der hochgerechnete Jahresmittelwert darf nicht mehr als 65 dB(A) betragen.

Es gibt folglich nicht nur Lärmgrenzwerte, sondern auch so genannte Lärmkontingente. Das lässt sich am besten mit einer Metapher erklären. In einem bestimmten Zeitraum darf ein Eimer mit Lärm gefüllt werden. Ein eher leises Auto tröpfelt Lärm in den Eimer, ein sehr lautes Auto schüttet hingegen gleich einen Becher Lärm hinein, und so entsteht schnell die Gefahr, dass der Eimer überläuft. Das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

„Die cNG hat sich verpflichtet, den Lärm, dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprechend, langfristig sukzessive abzusenken“, berichtet Edelbert Schaffert. Das ist mit ein Grund, weshalb in den letzten Jahren bei der VLN und beim 24h-Rennen die Lärmgrenzwerte verschärft wurden; und das wiederum ist eine Auflage der amtlichen Genehmigung. „Wir haben innerhalb von fünf Jahren den Jahresmittelwert um zwei dB(A) verringert. Das ist eine großartige Leistung, die ohne die Kooperation mit den Automobilherstellern und den Teams nicht möglich gewesen wäre“, betont Manfred Strack. Dahinter steckt aber auch ein enormer technischer, personeller und finanzieller Aufwand seitens der cNG. „Für den Lärmschutz investieren wir einen dicken sechsstelligen Betrag“, verrät Strack.

Um die festgesetzten Lärmkontingente einzuhalten, sind die Grenzwerte 2017 in bestimmten Fahrzeugklassen der VLN erneut gesenkt worden. Da der Lärmgrenzwert von 130 dB(A) von den GT3-Autos, da sind sich die Regelmacher mit den Technikern der Automobilhersteller einig, nicht zu unterschreiten ist, ohne dass Leistungseinbußen damit verbunden wären, hat man beschlossen, die zulässigen Grenzwerte für sämtliche V-Klassen sowie für die Cups von Opel, Toyota und BMW von 130 auf 128 dB(A) zu reduzieren. So will man Freiraum für die großen Autos gewinnen; so will man sicher gehen, dass, um im Bild zu bleiben, der Eimer nicht überläuft.

Beim ersten Zeittraining des Jahres identifiziert Alexander Knobloch zwar den einen oder anderen „Lärmsünder“, aber sie sind schon deutlich weniger als vor einer Woche noch bei den Test- und Einstellfahrten. Wer die 130 respektive 128 dB(A) überschreitet, wird von der Rennleitung gleich informiert; wer dreimal zu laut gemessen wird, muss an die Box fahren und reparieren. Ist er danach immer noch zu laut, wird er aus dem Training oder aus dem Rennen geholt.

Dann rauscht oder donnert oder dröhnt er – vorerst – nicht mehr über die Start- und Zielgerade.