„Fahr‘ einfach so schnell, wie Du kannst“

Estland. Das kleine Land im Baltikum ist in etwa so groß wie Niedersachsen. Mit knapp 1,3 Millionen Einwohnern leben dort gerade mal so viele Menschen wie in München. Einer von in ist Tristan Viidas, der 2016 sein VLN-Debüt feierte. Zwei Jahre später bestreitet er nun mit dem Team Securtal Sorg Rennsport im BMW M235i Racing Cup die erste komplette VLN-Saison. Mit Erfolg. Die Cup-Wertung führt der 22-Jährige zwei Rennen vor dem Finale an. VLN.de hat mit dem Esten über seine Wurzeln, die Motorsport-Szene in Estland, den bisherigen Saisonverlauf und seine Ziele für die Zukunft gesprochen.

Gratulation, Du hast beim siebten Lauf Deinen ersten VLN-Klassensieg geholt. Wie fühlt sich das an?
Siege schmecken immer zuckersüß. Vor allem der erste in der VLN. Ich habe damit viele Punkte gesammelt. Aber es stehen noch zwei wichtige Rennen auf dem Programm, daher darf ich mich von dem Sieg jetzt nicht aus der Bahn werfen lasen.

Du hast Dir in der VLN mit dem BMW M235i Racing Cup eine der härtesten Klassen ausgesucht, Warum?
Ich mag die Herausforderung. Wenn alle Rennfahrzeuge in einer Klasse identisch sind – und das ist der Cup 5 ja der Fall – dann steht der Fahrer absolut im Vordergrund. Das war mir wichtig und da kam mir die BMW-Klasse sehr gelegen.

Wer sind Deine stärksten Gegner in der Klasse?
Da sind so viele schnelle Fahrer. Vier unterschiedliche Teams haben in diesem Jahr die Podestplätze unter sich ausgemacht. Da ist allen voran der zweifache VLN-Champion Michael Schrey mit der Startnummer eins. Der hat leider in diesem Jahr viel Pech. Die anderen zwei schnellen Teams sind Yannick Fübrich und David Griessner in der #650 und Tobias Müller, Nico Otto und Lars Peucker in der #666.

Wie bist Du zum Motorsport gekommen?
Die Hälfte meiner Familie ist verrückt nach Motorsport. Mein Großvater und zwei meiner Onkels waren im Speedway unterwegs und haben da unzählige Erfolge eingefahren. Mein Vater hat auf hohem Niveau Motocross betrieben und meine Schwester war im Kart- und Rundstreckensport aktiv. Kein Wunder also, dass mich der Motorsport-Virus auch irgendwann befallen hat. Alles fing an als ich fünf Jahre alt war und mein Vater mich in Ägypten das erste Mal in ein Kart gesetzt hat. Nach neun Jahren im Kartsport bin ich dann 2011 in den Automobilbereich umgestiegen.

Was waren die wichtigsten Stationen Deiner Karriere? Wie bist Du in der VLN gelandet?
Ich bin in meinem ersten Jahr im Automobilsport in der Baltischen Tourenwagen Meisterschaft mit einem BMW 325 gefahren. Erst danach bin ich in den Formelsport gewechselt, weil mir das als logischer Schritt erschien nach den vielen Jahren im Kart. Nach zwei Jahren habe ich mir dann etwas Neues gesucht, unter anderem, weil ich mich aufgrund meiner Körpergröße im engen Formel-Cockpit nicht mehr wohlgefühlt habe. Ich bin im Radical European Masters gefahren, Tourenwagen und bin über die LMP3 schließlich in die VLN gekommen. Ich bin generell eher der Tourenwagen- als der Formel-Typ. In allen Kategorien war ich schnell, aber im Tourenwagen fühle ich mich einfach am wohlsten.

Verglichen beispielsweise mit dem LMP3 ist der BMW M235i ganz schön langsam, oder?
Klar wäre mehr Leistung toll. Aber ich mag den M235i wirklich sehr. Es ist eine Herausforderung, möglichst viel Speed aus den Kurven mit herauszunehmen, weil die Beschleunigung eben nicht die beste ist.

Wie populär ist Motorsport in Estland?
Meiner Einschätzung nach, wird das immer mehr. Speziell, seitdem wir vor ein paar Jahren mit dem „auto24ring“ in Pärnu eine brandneue Rennstrecke haben. Du darfst nicht vergessen, wir reden bei Estland über ein Land mit gerade einmal 1,3 Millionen Einwohnern. Da ist die Szene im Vergleich zu der in Deutschland verschwindend gering. Schau Dir mal meine Fahrerlizenz an. Meine Lizenznummer ist dreistellig. Es gibt also maximal 1.000 Lizenznehmer in Estland…

In Deutschland gab es 2017 rund 32.000 Lizenznehmer. Vermutlich habt Ihr also in Estland prozentual sogar mehr. Was machst Du, wenn Du nicht gerade im Rennwagen sitzt?
Ich studiere im zweiten Jahr Politikwissenschaften auf Bachelor an der Universität in Tartu. Daneben mache ich viel Sport, um körperlich fit zu sein.

Wie stressig ist es für Dich, inklusive dem 24h-Rennen zehnmal nach Deutschland zu reisen?
Zum Glück sind die VLN-Events kompakte Ein-Tages-Veranstaltungen. Ich steige freitags direkt nach der Uni in den Flieger und komme nach Deutschland. Am Sonntag bin ich dann wieder daheim. Zudem gibt es meistens nur ein Rennen pro Monat. Das ist also gut zu bewältigen.

Wann hattest Du den ersten Kontakt zur Nordschleife?
Ich war 2014 zum ersten Mal am Nürburgring. Mit dem Radical European Masters bin ich auf dem Grand-Prix-Kurs gefahren. Und mit meinem Mietwagen bin ich dann eine Runde Nordschleife gefahren und war sofort infiziert. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, komplett anders als alles, was ich bislang gefahren bin. Und sehr anspruchsvoll.

Und wie kamst Du dann zur VLN und zum 24h-Rennen in der Eifel?
Ich bin Ende 2016 mein erstes VLN-Rennen gefahren. Danach bekam ich allerdings ein Angebot für die ELMS mit einem LMP3-Fahrzeug. Das wollte ich auch ausprobieren. 2018 ist jetzt meine erste komplette Saison in der VLN. Und ich habe das 24h-Rennen von meiner Bucketlist gestrichen. Das war eines meiner großen Ziele.

Wie hast Du Dich auf die Nordschleife vorbereitet?
Ich musste natürlich erst einmal die DPN machen. So hatte ich schon ein paar Runden hinter mir, ehe ich das erste Mal in der RCN gefahren bin. Ich habe mir auch viele Onboardvideos angeschaut, um mir die Kurvenkombinationen einzuprägen. Aber, um ehrlich zu sein, das habe ich erst im Rennwagen mit der Zeit verinnerlicht.

Was hast Du nach Deinem ersten Nordschleifen-Rennen gedacht?
Das war absolut nicht von dieser Welt. Mein erstes Rennen in der RCN war bei starkem Regen. Das war eine total verrückte Erfahrung. Aber sie war wichtig. Denn heute fühle ich mich sowohl im Regen als auch auf trockener Piste wohl.

Verglichen mit anderen Serien, wie findest Du die Stimmung in der VLN?
Ich würde sagen, die Stimmung ist in fast allen Belangen anders. In den Serien, die ich bislang gefahren bin, gab es viel weniger Zuschauer und vor allem viel weniger echte Fans. Der Zuspruch der Fans gibt mir in der VLN einen echten Boost. Auch in der ELMS und im Radical war ich in Meisterschaften unterwegs, in denen es unterschiedliche Klassen gibt. Aber auch das ist mit der VLN kaum vergleichbar. Ich liebe alles rund um die VLN und die Nordschleife.

Wie kamst Du denn anfangs mit den unterschiedlichen Fahrzeugklassen und den Leistungsunterschieden zurecht?
Ich habe ein paar Rennen gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Aber am Ende ist das überall gleich: Fahr‘ einfach so schnell, wie Du kannst.

Hat sich das jetzt nach zehn Rennen geändert?
Ich fühle mich sehr wohl mittlerweile und genieße das Rennenfahren nur noch. Ich muss mich nicht mehr ständig darauf konzentrieren, in den Rückspiegel zu schauen. Das mache ich mittlerweile unterbewusst ganz automatisch.

Was hat Dich dazu bewegt, eine komplette VLN-Saison zu fahren?
Ich mag die Herausforderung und den harten Wettbewerb. Nur so kann ich mich als Fahrer weiterentwickeln. Es sind so viele Topfahrer und Topfahrer in der VLN. Also muss ich hier auch fahren.

Wie bist Du zu Sorg Rennsport gekommen?
Ich kenne Dirk Adorf seit dem Formel BMW Talent-Cup 2012. Und als ich auf dem Sprung in die VLN war, hat er mir vorgeschlagen, mich mal mit dem Team in Verbindung zu setzen. Das war eine sehr gute Idee und ich bin ihm für den Tipp sehr dankbar. Die Sorg-Brüder und der ganze Rest der Mannschaft lieben das, was sie tun. Sie leben Motorsport. Ich fühle mich pudelwohl.

Welches Fahrzeug würdest Du gerne einmal fahren? Speziell auch auf der Nordschleife?
Selbst als ich jung war, war die Formel 1 nie mein Ziel. Ich habe schon immer eher von Tourenwagen geträumt. Von der DTM zum Beispiel. Ich mag schnelle Autos. Einmal mit einem GT3-Boliden nachts über die Nordschleife zu fahren, das wäre ein Traum.

Was sind Deine Ziele für die Zukunft?
Ich möchte Rennenfahren – alles, was schnell ist, vier Räder und ein Dach hat. Ich würde gerne weiter in der VLN fahren und den nächsten Schritt machen. Ich könnte mir vorstellen, mit einem GT-Fahrzeug an den Start zu gehen. Aber noch stehen zwei wichtige Rennen auf dem Programm. Darauf konzentriere ich mich voll und ganz.

Guter Punkt. Du weißt ja jetzt, wie es geht – mit dem Gewinnen. Was dürfen wir von Dir erwarten?
Ich bin hungrig. Mehr als jemals zuvor. Aber ich bin mir sicher, dass das allen in der Cup-5-Klasse so geht. Alle werden jetzt versuchen, in den verbleibenden zwei Rennen alles geben. Das wird in jedem Fall sehr, sehr spannend.