Land: „Normal hasse ich die Nordschleife“

Wolfgang Land gibt einen tiefen Einblick in seine Gefühlswelt nach dem größten Erfolg seines Teams im Motorsport – nach dem spektakulären Sieg beim 24h-Rennen auf dem Nürburgring.

Wolfgang Land, haben Sie den Sieg schon verarbeitet?
Langsam ja. So richtig verarbeitet hatte ich das erst am Dienstagabend nach dem Rennen. Am Montagabend hatten wir hier noch eine Feier bei uns auf dem Dorf und dann kamen noch ein paar Freunde. Als ich am Dienstag dann im Bett lag und ich hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen – da habe ich so richtig realisiert, dass ich mit meinem Team das 24h-Rennen gewonnen habe.

Die letzten Runden waren ein echtes Drama. Was haben Sie gedacht, als das Auto kurz vor Schluss plötzlich langsam wurde?
Da denkst du ganz einfach: Scheiße. Jetzt warst du schon wieder so nah dran, und dann wieder nix. Da fällst du erst mal in dich zusammen. Eine halbe Stunde vorher hatte ich mir noch einen Plan zurechtgelegt, unter anderem welcher Fahrer über den Zielstrich fahren soll. Wir hatten zwei Minuten Vorsprung, das Auto lief gesund, die Fahrer waren fit. Wenn du 22 Stunden in Führung gelegen hast und du erlebst dann so was, dann bricht für dich schon eine kleine Welt zusammen. Das Rennen war ja nicht ohne – die Konkurrenz war stark. Und wir hatten bei unserer Premiere als werksunterstütztes Team einen guten Job gemacht. Audi hatte sich die Entscheidung zu unseren Gunsten sicher nicht leicht gemacht. Und da willst Du natürlich den besten Job machen, wenn Dir diese Ehre zuteil wird. Am Ende war ich froh: Die Leute, die das entschieden haben, denen ist der Rücken gestärkt worden. Die konnten sagen, „Da haben wir nicht viel verkehrt gemacht, als wir den Land ausgesucht haben.“

Wie fiel die Entscheidung für Kelvin van der Linde als Schlussfahrer?
Ich denke, es ist immer eine besondere Ehre, den Wagen nach 24 Stunden über den Zielstrich zu fahren. Und da gab es bei uns eine nette Geschichte: Wir haben alle gefragt und alle drei Fahrer haben gesagt, das müssen wir dem Kelvin zuteilen, er war der schnellste Fahrer, das muss man neidlos anerkennen. Die Aufgabe müssen wir ihm geben, auch wenn er schon den Start gefahren hat. Und dann habe ich gesagt, das wäre auch mein Wunsch gewesen, ihr habt meine Entscheidung unterstützt, deshalb brauchen wir nicht lange zu diskutieren und dann machen wir das so.

Aber, es kam anders als geplant, auf einmal war der Sieg vom Tisch, und dann kam plötzlich der Regen. Was waren da Ihre Gedanken?
Wir werden wahrscheinlich auf Platz drei einlaufen und jetzt müssen wir die Arschbacken zusammenkneifen und alle an einem Strick ziehen und vielleicht packen wir den BMW noch. Und dann haben wir neue Reifen draufgemacht und dem Kelvin ‚push, push, push’ mit auf den Weg gegeben. Entweder alles oder nichts.

Ihr letzter Boxenstopp wirkte ein bisschen wie Pleiten, Pech und Pannen. Das Team hat erst die Slicks drauf gezogen, dann die Regenreifen. Was war da genau los?
Der Boxenstopp war zugegeben ein kleines Chaos. Der Regen lag ja in der Luft. Wir haben getankt, Kelvin ist zu früh vorgefahren und hat dabei den Tankrüssel rausgezogen. Er hatte eine Information bekommen, dass er fahren sollte. Der Ingenieur war der Meinung, das Auto wäre fertig. In Wirklichkeit waren wir noch beim Tanken. Gottseidank ist nichts passiert. Dann mussten wir das Auto zurückschieben und noch ein paar Liter reinfüllen. Danach wurde es richtig turbulent. Wir sahen in der Boxengasse halt nicht, dass der Pflanzgarten unter Wasser stand. Dann wurde von mehreren Seiten Regen, Regen, Regen geschrien. Wir hatten ja nichts mehr zu verlieren und haben dann die Entscheidung mit den Regenreifen getroffen.

Ab wann haben Sie denn geglaubt, dass es doch noch klappen kann?
Als wir rausgefahren sind, hörte ich den Mies sagen, jetzt haben wir einen Fehler gemacht, wir hätten Intermediates aufziehen sollen. Und ich habe zum Christoph gesagt: „du Auto fahren und wir Boxenstopp machen“. Dann bin ich an den Monitor gegangen und es wurden von der Regie Bilder eingespielt, wo die Nordschleife richtig unter Wasser stand, und da habe ich gesagt, wenn der Kelvin jetzt die Kraft hat auf der Strecke zu bleiben, dann gewinnen wir.

Haben Sie ihm das wirklich zugetraut? Der Regengott bei Ihnen im Team ist doch eigentlich Christopher Mies…
Ich hatte sehr viel Vertrauen in den Kelvin gewonnen bei den beiden Rennen, die er bei uns gefahren ist. Er wurde uns von Audi vorgeschlagen und ich mache keinen Hehl daraus, meine erste Reaktion war: „Habt ihr keinen anderen?“ Audi war der Meinung, Kelvin sei sehr schnell. Sonst hätten sie ihn nicht ins Fahreraufgebot aufgenommen. „Guck dir den Jungen mal an, und schenk dem Vertrauen.“ Dann ist er ein VLN-Rennen bei uns gefahren und ich habe mich bei ihm entschuldigt: „Hör mal, ich habe dich nie so stark eingeschätzt wie jetzt und du bist richtig gut.“ Das hat er ja nun auch beim 24h-Rennen gezeigt, dass er richtig gut Auto fahren kann.

Und wie lief das Ganze ab, als der Regen einsetzte?
Als der Regen kam war klar, dass er ein bisschen Unterstützung braucht. Wir haben ihn über Funk unterstützt. Wir haben ihn erst beruhigt, und ihm dann gesagt, „du hast jetzt eine Riesenverantwortung, aber nicht mehr push, push, push, sondern fahr deinen Stil. Fahr das, was du dir zutraust, das was du machen oder verantworten kannst.“ Durch die Bilder aus der Hubschrauber-Perspektive und durch die Zwischenzeiten konnten wir ihm sagen, dass er auf Platz drei lag. Nachdem er den ROWE-BMW überholt hat, haben wir ihn bestärkt. „Du packst das, das WRT-Auto muss noch an die Box, und ist nur noch 20 Sekunden vor Dir.“ Wir haben ihn informiert, als das WRT-Auto in die Box gefahren ist. „Jetzt hast du ungefähr eine Minute Vorsprung.“ Dann haben wir ihn auf die letzte Runde geschickt: „Du hast jetzt 25 Leute im Auto, wir sind alle bei Dir.“ Am Galgenkopf haben wir dann durchgeatmet und ihn einfach angefunkt, er solle sich auf den größten Erfolg seiner Karriere vorbereiten.

Was ging beim Zieleinlauf in Ihnen vor?
Da lässt Du deinen Gefühlen freien Lauf, weil das ist und war der größte Motorsport-Erfolg, den Land je hatte. Ich wusste, dass ein Sieg beim 24h-Rennen bei allen, Fahrer wie Hersteller, einen hohen Stellenwert hat. Zwei, drei Tage später habe ich erst Mal richtig realisiert, wer dies alles geschaut hat und wie das eingestuft wird – das hätte ich nie gedacht. Ein 24h-Rennen in der „Grünen Hölle“ ist genau wie Le Mans sehr anerkannt, hat aber den Ruf, schwieriger und komplizierter zu sein. Ich stufe diesen Sieg mit einem GT3 genauso hoch ein, wie wenn ein Werk in Le Mans mit dem LMP gewinnt. Wir haben aus den USA so viele Glückwünsche bekommen, weil wir zwei Rennen in der IMSA gefahren sind. Die Formel 1 ist sonntags in Monaco gefahren, da hat mir der Toto Wolff gratuliert. Das ist ja ein Zeichen, dass die sich das auch angucken. Ich weiß, dass in Monaco das halbe Fahrerlager zugeschaut hat.

Glauben Sie mittlerweile, dass es einen Renngott gibt?
Ja, der muss auch Westerwälder sein. Uns ist vor einigen Jahren auf Platz drei liegend am Nürburgring der Porsche von Basseng abgebrannt. In Dubai haben wir nach dreiviertel der Distanz mit einer Runde Vorsprung in Führung gelegen, dann geht uns zwei Stunden vor Schluss das Getriebe kaputt. In Daytona sind wir mit drei Zehntel Rückstand Zweiter geworden. Wir haben schon so viele gute Leistungen gezeigt, und hatten dann Pech. Ich habe keinen gehört, der gesagt hat, unser Sieg wäre unverdient, oder „ihr habt Glück gehabt.“ Alle sagten, es war ganz einfach ausgleichende Gerechtigkeit, dass ihr gewonnen habt. Ihr wart so souverän. Alle haben uns das gegönnt. Die ROWE-Mechaniker kamen unmittelbar nach dem Zieleinlauf in unsere Box und haben gratuliert. Diese Geste fand ich so was von grandios.

Haben Sie jetzt noch Ziele, nachdem es endlich geklappt hat?
Wir wollen nächstes Jahr beim 24h-Rennen mit der Startnummer eins fahren und ich denke, wenn man die Startnummer eins auf dem Auto hat, braucht man gar nicht erst nach dem Ziel zu fragen. Wenn du Indianapolis gewinnst, gewinnst du Millionen und lehnst dich zurück. So ist es bei uns ja nicht. Wir hoffen, dass Audi sich nächstes Jahr wieder für uns entscheidet. Wir möchten die Zusammenarbeit mit Audi gerne ausbauen. Sicher ist, dass wir nächstes Jahr die VLN und das 24h-Rennen fahren. Was wir dann drum herum machen, geht sicher nicht zu Lasten von diesen beiden Veranstaltungen.

Sie sind auch bei Sprintrennen erfolgreich, es gibt wenige Teams, denen das gelingt. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Wir haben keine bis wenig Fluktuation im Team. Wir haben eine Mannschaft, die schon unzählige 24h-Rennen zusammengearbeitet hat. Bei uns gibt es keine Profilierungssucht. Jeder will gewinnen, für das Team. Unsere Mitstreiter können auch Autos bauen, die haben auch gute Leute und die Autos werden mit Sicherheit gut vorbereitet. Aber, wir gucken nicht nach oben, wir gucken nach vorne. Wenn wir ins Ziel gekommen sind, waren bisher bei fast allen Rennen immer schnellster Audi, darauf bin ich stolz. In Dubai, in Sebring, in Daytona, in der VLN – überall.

Sie müssen eine besondere Beziehung zum Nürburgring haben, woher kommt diese?
Normal hasse ich die Nordschleife. Das ist eine Hassliebe. Ich hatte auf der Nordschleife einen sehr schweren Unfall. Ich bin 1989 mit dem 944 Turbo im Porsche-Cup gefahren, bin verunglückt und erst zwei Tage später im Krankenhaus in Adenau wach geworden. Deswegen habe ich meinen Söhnen verboten, Nordschleife zu fahren. Christian hat zu unseren Porsche-Zeiten gebeten und gebettelt. Und meine jetzige Frau sagte, „Mensch, der Junge hat das Auto gebaut, der weiß, was er gemacht hat und der wird das wohl pfleglich behandeln.“ Ich habe mir an einer Hand die Fingernägel abgekaut und dann kam er nach einer Runde auf die Döttinger Höhe und fragte, ob er noch eine Runde fahren dürfe. „Ich will einmal mit 300 über die Nordschleife fahren“, sagte er. Das habe ich dann auch erlaubt. Und schließlich ist es ja gut gegangen.

Aus VLN-Sicht haben Sie dieses Jahr noch eine Rechnung offen. Was dürfen wir von Ihnen 2017 noch erwarten?
Wir haben dieses Jahr noch keinen Lauf gewonnen, aber das holen wir nach. Wir wissen ja, warum wir nicht gewonnen haben, nicht weil wir zu langsam waren.

Was waren die Gründe?
Es galt Entwicklung zu betreiben. Wir sind einmal mit Michelin-Reifen gefahren, das nächste Mal mit Dunlop. Und wir hatten auch ein bisschen Pech mit unserem Benzin-Haushalt. Diese Sachen sind ausgestanden. Wir hatten nie zu wenig getankt, das kann ich jetzt im Nachhinein sagen, wo wir den Fehler endlich mal gefunden haben. Nach dem letzten VLN-Rennen sind wir am Nürburgring geblieben und haben nichts Anderes gemacht, als tanken zu üben. Und dabei ist uns etwas aufgefallen: Wir haben getankt und die Zapfpistole schaltet ab. Der Tank war aber noch nicht voll. Wir haben eine Minute gewartet und dann passten noch fünf Liter rein. Und dann haben wir nochmal eine halbe Minute gewartet und dann passten nochmal fünf Liter rein. Der Tank hat einfach nicht richtig entlüftet. Wir haben das Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung in die Boxengasse gestellt und siehe da, auf einmal passten 120 Liter rein. Die Boxengasse neigt sich in Fahrtrichtung leicht nach links. Dadurch musste auf der rechten Seite Druck entweichen. Das Entlüftungssystem im Audi war nicht optimal. Wir haben das Problem behoben und auf einmal gingen 120 Liter mit einem Schlag rein. Deswegen haben wir die VLN-Rennen nicht gewonnen, die Performance war ja da.